Rechtliche Grundlage Schweiz

Rechtliche Grundlage der Schweiz

Im Jahre 1997 ratifizierte die Schweiz die UNO-Kinderrechtskonvention und verpflichtet sich damit zu deren Umsetzung (EKKJ, 2019, S. 13). In der UNO-Kinderrechtskonvention, kurz UN-KRK, werden die Rechte von Kindern durch die Staatengemeinschaft UNO beschrieben. In Art. 19 UNO-KRK steht das Recht eines Kindes auf gewaltfreie Erziehung.

Art. 19 Abs. 1 UN-KRK:

1 Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmassnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschliesslich des sexuellen Missbrauchs zu schützen, solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormundes oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut. (Unicef, 1959)

Die Schweiz anerkennt die Konvention auch in ihrer Bundesverfassung im elften Artikel (EKKJ, 2019, S. 13).

Art. 11 Abs. 1 BV

1 Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung. (Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2016)

 

Im Zivilgesetz wird in Art. 28 ff. ZBG beschrieben, dass jeder Mensch Recht auf Persönlichkeitsschutz hat. Die Persönlichkeit bezieht sich auf die Gesamtheit der persönlichen Güter und der Rechtsstellung jedes Individuums. Zu diesen rechtlich geschützten Gütern zählen das Leben, die physische, psychische und moralische Integrität, die Geheimsphäre, der Name und Weiteres. Physische Gewalt entspricht einer Persönlichkeitsverletzung und ist somit nicht erlaubt. Jedoch ist nicht jede Verletzung eine Beeinträchtigung der Persönlichkeit. Laut Art. 28b ZGB muss es sich bei der Verletzung um Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen handeln. Wird das Persönlichkeitsrecht einer Person verletzt, können Täter*innen bestraft werden. Es kann ein Verbot ausgesprochen werden sich der klagenden Person anzunähern, mit ihr Kontakt aufzunehmen oder sie auf andere Weise zu belästigen. Weitere Bestrafungen sind im Strafgesetzbuch festgehalten. (Bischof, 2015, S. 126–127)

               Art. 28 ZGB

1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.

2 Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.

 

Art. 28b Abs. 1 ZGB

1 Zum Schutz gegen Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen kann die klagende Person dem Gericht beantragen, der verletzenden Person insbesondere zu verbieten:

  1. sich ihr anzunähern oder sich in einem bestimmten Umkreis ihrer Wohnung aufzuhalten;
  2. sich an bestimmten Orten, namentlich bestimmten Strassen, Plätzen oder Quartieren, aufzuhalten;
  3. mit ihr Kontakt aufzunehmen, namentlich auf telefonischem, schriftlichem oder elektronischem Weg, oder sie in anderer Weise zu belästigen. (Schweizerisches Zivilgesetzbuch, 2023)

 

Des Weiteren wird in Art. 302 ZBG festgehalten, wie Kinder von ihren Eltern behandelt werden sollten. Kinder haben das Recht auf körperliche, geistige und sittliche Entfaltung, wobei die Eltern dies schützen und fördern müssen. (Schweizerisches Zivilgesetzbuch, 2023)

Art. 302 ZGB

1 Die Eltern haben das Kind ihren Verhältnissen entsprechend zu erziehen und seine körperliche, geistige und sittliche Entfaltung zu fördern und zu schützen.

2 Sie haben dem Kind, insbesondere auch dem körperlich oder geistig gebrechlichen, eine angemessene, seinen Fähigkeiten und Neigungen soweit möglich entsprechende allgemeine und berufliche Ausbildung zu verschaffen. (Schweizerisches Zivilgesetzbuch, 2023)

 

Schutzmassnahmen sind in den Artikeln 307 – 317 ZGB geregelt. In Art. 307 ZBG steht wie und wann von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, kurz KESB, eingegriffen werden darf, wenn die Eltern nicht angemessen für ihr Kind sorgen. Gegenüber den Eltern können Mahnungen, Weisungen oder Erziehungsaufsichten ausgesprochen werden. In Art. 308 ZGB wird die Erklärung für Beistandschaft eines Kindes beschreiben, wenn dies die Verhältnisse erfordern. Ausserdem kann den Eltern die elterliche Obhut entzogen werden, falls die Situation nichts anderes zulässt, was in Art. 310 und 311 ZGB erklärt wird. (Bischof, 2015, S. 138–145)

Art. 307 ZGB

1 Ist das Wohl des Kindes gefährdet und sorgen die Eltern nicht von sich aus für Abhilfe oder sind sie dazu ausserstande, so trifft die Kindesschutzbehörde die geeigneten Massnahmen zum Schutz des Kindes.

2 Die Kindesschutzbehörde ist dazu auch gegenüber Kindern verpflichtet, die bei Pflegeeltern untergebracht sind oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern leben.

3 Sie kann insbesondere die Eltern, die Pflegeeltern oder das Kind ermahnen, ihnen bestimmte Weisungen für die Pflege, Erziehung oder Ausbildung erteilen und eine geeignete Person oder Stelle bestimmen, der Einblick und Auskunft zu geben ist.

 

Art. 308 ZGB

1 Erfordern es die Verhältnisse, so ernennt die Kindesschutzbehörde dem Kind einen Beistand, der die Eltern in ihrer Sorge um das Kind mit Rat und Tat unterstützt.

2 Sie kann dem Beistand besondere Befugnisse übertragen, namentlich die Vertretung des Kindes bei der Feststellung der Vaterschaft, bei der Wahrung seines Unterhaltsanspruches und anderer Rechte und die Überwachung des persönlichen Verkehrs.

3 Die elterliche Sorge kann entsprechend beschränkt werden.

 

Art. 310 ZGB

1 Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen.

2 Die gleiche Anordnung trifft die Kindesschutzbehörde auf Begehren der Eltern oder des Kindes, wenn das Verhältnis so schwer gestört ist, dass das Verbleiben des Kindes im gemeinsamen Haushalt unzumutbar geworden ist und nach den Umständen nicht anders geholfen werden kann.

3 Hat ein Kind längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt, so kann die Kindesschutzbehörde den Eltern seine Rücknahme untersagen, wenn diese die Entwicklung des Kindes ernstlich zu gefährden droht.

 

Art. 311 Abs. 1 ZGB

1 Sind andere Kindesschutzmassnahmen erfolglos geblieben oder erscheinen sie von vornherein als ungenügend, so entzieht die Kindesschutzbehörde die elterliche Sorge:

  1. wenn die Eltern wegen Unerfahrenheit, Krankheit, Gebrechen, Abwesenheit, Gewalttätigkeit oder ähnlichen Gründen ausserstande sind, die elterliche Sorge pflichtgemäss auszuüben;

  2. wenn die Eltern sich um das Kind nicht ernstlich gekümmert oder ihre Pflichten gegenüber dem Kinde gröblich verletzt haben. (Schweizerisches Zivilgesetzbuch, 2023)

 

Im Strafgesetzbuch werden Verbote gegen physische Gewalt ausgesprochen. In Art. 123 StGB wird die einfache Körperverletzung bei vorsätzlicher Tat beschrieben. Wenn die Tat an einem Kind begangen wird, ist dies von Amtes wegen strafrechtlich zu verfolgen, sprich ein Offizialdelikt. Art. 126 StGB handelt um Tätlichkeiten. Tätlichkeiten sind keine Schädigungen des Körpers, wie beispielsweise eine Ohrfeige. Wird die Tat wiederholt an einem Kind verübt, ist es nach Art. 126 Abs. 2 lit. a StGB ein Offizialdelikt. Der Art. 219 StGB behandelt die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Wird diese gegenüber einem Kind verletzt und es so in seiner körperlichen und seelischen Entwicklung beeinträchtigt, machen sich Erziehungsberechtigte strafbar. Dieser Artikel hängt mit Art. 302 ZGB zusammen. Bei all diesen genannten Artikeln gilt, dass eine Person den Behörden die Gefährdung des Kindes melden muss, damit die Behörden handeln können. (EKKJ, 2019, S. 14)

Art. 123 StGB

  1. Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. In leichten Fällen kann der Richter die Strafe mildern (Art. 48a).
  2. Die Strafe ist Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, und der Täter wird von Amtes wegen verfolgt,
    wenn er Gift, eine Waffe oder einen gefährlichen Gegenstand gebraucht,
    wenn er die Tat an einem Wehrlosen oder an einer Person begeht, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, namentlich an einem Kind,
    wenn er der Ehegatte des Opfers ist und die Tat während der Ehe oder bis zu einem Jahr nach der Scheidung begangen wurde,
    wenn er die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner des Opfers ist und die Tat während der Dauer der eingetragenen Partnerschaft oder bis zu einem Jahr nach deren Auflösung begangen wurde,
    wenn er der hetero- oder homosexuelle Lebenspartner des Opfers ist, sofern sie auf unbestimmte Zeit einen gemeinsamen Haushalt führen und die Tat während dieser Zeit oder bis zu einem Jahr nach der Trennung begangen wurde.

 

Art. 126 StGB

1 Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.

2 Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er die Tat wiederholt begeht:

  1. an einer Person, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, namentlich an einem Kind;

 

Art. 219 Abs. 1 StGB

1 Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. (Schweizerisches Strafgesetzbuch, 2022)

 

Züchtigungsrecht

Im alten ZGB wurde in Art. 278a das Züchtigungsrecht festgehalten. Als das Zivilgesetzbuch überarbeitet und der Artikel des Züchtigungsrechts gestrichen werden sollte, äusserte sich der Bundesrat wie folgt:

In der elterlichen Gewalt ist auch die Befugnis zur Züchtigung des Kindes enthalten, soweit dies zu seiner Erziehung nötig ist. Indessen bedarf diese Befugnis keiner ausdrücklichen Erwähnung im Gesetz. Der Code civil français und der Codice civile italiano kommen ohne sie aus, ebenso das revidierte Bürgerliche Gesetzbuch und die übrigen neuern Familienrechtsgesetze. Der Entwurf lässt darum den bisherigen Artikel 278 ZGB fallen. (BBl 1974 II 1, Seite 77) (EKKJ, 2019, S. 14)

Im Jahr 1978 erfolgte die Revision des Zivilgesetzbuchs und der Artikel 278a wurde gestrichen. Der Bundesrat sprach sich damals jedoch nicht direkt gegen das Züchtigungsrecht aus, sondern nur dagegen, es im Zivilgesetzbuch explizit zu erwähnen. (EKKJ, 2019, S. 14)

In der Schweizer Gesetzgebung ist das Anwenden von physischer Gewalt gegenüber Kindern als Erziehungsmassnahme nicht ausdrücklich durch ein Züchtigungsverbot untersagt. Solange Körperstrafen nicht zu sichtbaren Schänden führen, sind sie nicht verboten. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Körperstrafen erlaubt sind. Diese Schlussfolgerung hat das Bundesgericht bestätigt. Physische Gewalt seien im Rahmen der Familie nicht als Gewaltakte zu betrachtet, wenn sie das von der Gesellschaft akzeptiere Mass nicht überschreiten oder zu oft wiederholt werden. Dem von der Gesellschaft akzeptierte Mass Grenzen zu setzen ist jedoch schwer, da dies je nach Generation, Gemeinschaft und sozioökonomischer Gruppe unterschiedlich ist. (Gewalt in der Erziehung, 2022)

Um physische Gewalt gegenüber Kindern strafrechtlich zu verfolgen, muss sie den Behörden bekannt sein und ein gewisses Ausmass haben. Bei der Definition des Ausmasses nutzt das Bundesgericht in der Rechtsprechung immer noch den Begriff des Züchtigungsrechts als Massstab. Es existiert somit keine klare rechtliche Regelung bezüglich der Erziehungsmethoden. (EKKJ, 2019, S. 15)

In den vergangenen Jahren kam es zu mehreren Versuchen das Gesetz zu ändern und ein Züchtigungsverbot in das Zivilgesetzbuch aufzunehmen. Das Parlament und der Bundesrat haben sich jedoch gegen diese Ergänzung geäussert. Sie seien nicht für Gewalt, doch sie zweifeln an der Wirkung der zivilrechtlichen Norm, die das Recht des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung beinhaltet. (EKKJ, 2019, S. 15) Auch andere sind der Meinung ein Züchtigungsverbot sei überflüssig, da genug Gesetze da sind, die nur  angewendet werden müssten (Wittmer, 2021).

 

 

 


Quellen und weitere Informationen

Bischof, S. (2015). Stärkung der Kinderrechte als Präventivschutz vor häuslicher Gewalt [Universität St. Gallen]. https://www.e-helvetica.nb.admin.ch/api/download/urn%3Anbn%3Ach%3Abel-1094537%3ADis4447.pdf/Dis4447.pdf

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, (2016). https://fedlex.data.admin.ch/filestore/fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1999/404/20160101/de/pdf-a/fedlex-data-admin-ch-eli-cc-1999-404-20160101-de-pdf-a.pdf

EKKJ. (2019). Das Recht des Kindes auf eine Erziehung ohne Gewalt. https://ekkj.admin.ch/fileadmin/user_upload/ekkj/02pubblikationen/Positionspapier/d_19_Positionspapier_EKKJ_Erziehung_ohne_Gewalt.pdf

Gewalt in der Erziehung. (2022, Dezember 27). Kinderschutz Schweiz. https://www.kinderschutz.ch/gewalt-in-der-erziehung

Schweizerisches Strafgesetzbuch, (2022). https://fedlex.data.admin.ch/filestore/fedlex.data.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/20221122/de/pdf-a/fedlex-data-admin-ch-eli-cc-54-757_781_799-20221122-de-pdf-a.pdf

Schweizerisches Zivilgesetzbuch, (2023). https://fedlex.data.admin.ch/filestore/fedlex.data.admin.ch/eli/cc/24/233_245_233/20230101/de/pdf-a/fedlex-data-admin-ch-eli-cc-24-233_245_233-20230101-de-pdf-a-19.pdf

Unicef. (1959). Konvention über die Rechte des Kindes. https://www.unicef.ch/sites/default/files/2018-08/un-kinderrechtskonvention_de.pdf

Wittmer, R. (2021, April 10). Kein Züchtigungsverbot—Kinder zu schlagen bleibt gesetzlich erlaubt. Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). https://www.srf.ch/news/schweiz/kein-zuechtigungsverbot-kinder-zu-schlagen-bleibt-gesetzlich-erlaubt-2