Auswirkungen

Auswirkungen von physischer Gewalt in der Kindheit

Es können zwei verschiedene Typen von Folgen durch Kindesmisshandlung unterschieden werden. Zum einen Kurzzeitfolgen, welche innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nach der Misshandlung auftreten und zum anderen Langzeitfolgen. Langzeitfolgen halten, anders als Kurzzeitfolgen, länger an oder treten erst später in der Adoleszenz oder im Erwachsenenalter auf. Wie schwerwiegend die Auswirkungen ausgeprägt sind, hängt stark von der Häufigkeit und Schwere der angewandten Gewalt ab. Ebenfalls beeinflussen Parameter wie die Resilienz[1] des Opfers und in welchem Entwicklungsstadium das Kind war die Ausprägung der Folgen. (Körner & Deegener, 2005, S. 94)

Ebenfalls kann zwischen internalisierenden und externalisierenden Folgen unterschieden werden. Internalisierend beschreibt Reaktionsformen, die sich nach Innen auswirken, und externalisierend, Folgen, welche nach aussen hin bemerkbar sind (Wirth & Kleve, 2020).

 

Internalisierende Reaktionsformen

Nach erfahrener physischer Gewalt in der Kindheit lassen sich zahlreiche Auswirkungen auf das Opfer erkennen. Als Kurzzeitfolgen im emotionalen Bereich kommen häufig Angststörungen, soziale Isolation, Persönlichkeitsstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen, ein niedriger Selbstwert, Schuld- und Schamgefühle, Ärgerneigung, Suizidalität, selbstschädigendes Verhalten wie auch Drogenkonsum, Feindseligkeit und allgemeine Störungen der Gefühlsregulation wie zum Beispiel Impulsivität vor. (Körner & Deegener, 2005, S. 95)

Im Bereich der kognitiven Auswirkungen sind bei Opfern oft Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, dysfunktionale Kognitionen und Sprach-, Lern- und Schulschwierigkeiten erkennbar. Vor allem zeigt sich im Vorschul- und Schulalter ist ein kognitiver Entwicklungsrückstand. (Körner & Deegener, 2005, S. 95)

Im Vorschulalter wird häufig ein gefrorener Blick beobachtet, respektive weit offene Augen in einem unbeweglichen Gesicht, da das Kind gelernt hat nicht zu schreien, um nicht erneut bestraft zu werden. Ebenfalls fehlt es Kindern an Vertrauen in wichtige Bezugspersonen und sie verhalten sich ängstlich. Im Schulalter sind soziale Isolation und ein kognitiver, motorischer, emotionaler und sozialer Entwicklungsrückstand auffällig. (Körner & Deegener, 2005, S. 97)

Weitere Auswirkungen sind Ess- und Schlafstörungen. In der Adoleszenz sind Essstörungen wie Anorexie (Magersucht), Bulimie (Ess-Brech-Sucht) oder Adipositas (starkes Übergewicht) sowie substanzgebrauchendes Suchtverhalten besonders ausgeprägt und Persönlichkeitsstörungen beginnen sich zu entwickeln. (Körner & Deegener, 2005, S. 97)

Ebenfalls konnten bei Forschungen über die Wirkungen von Kindesmisshandlung auf neurobiologische Prozesse Unterschiede in den Hirnfunktionen im Zusammenhang von Gewalterfahrungen im Kindesalter nachgewiesen werden. Es liessen sich Störungen im neurobiologischen System der Stressverarbeitung, insbesondere im Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-System beobachten. (Körner & Deegener, 2005, S. 96)

 

Die Gefahr eines Traumas ist bei Gewalt gegenüber Kindern sehr hoch, da sie sich „in einer familiär und gesellschaftlich sehr abhängigen Position befinden und aufgrund ihrer Entwicklung schneller in Zuständen von Hilfslosigkeit geraten“. (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 89)

Erwachsene, welche als Kind Gewalt erlitten haben, sind oft stark traumatisiert und leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (Körner & Deegener, 2005, S. 99). Symptome dieser Störung sind das innerliche Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von Erinnerungen, Tagesträumen oder Albträumen. Situationen, die mit der Kindesmisshandlung in Verbindung stehen, werden bewusst vermieden und vegetative Übererregbarkeit in Form von Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit und Nervosität sind erkennbar. (Universitätsspital Zürich, o. J.)

Zu den typischen Langzeitfolgen im Erwachsenenalter zählen auch Angststörungen und Depressionen. Betroffene leiden unter Ängstlichkeit, Angst- und Zwangsstörungen, Unsicherheit, Depressionen, Schuld- und Schamgefühlen, negativer Selbstwahrnehmung, niedrigem Selbstwertgefühl, Hilflosigkeits- und Ohnmachtsgefühlen, Einsamkeitsgefühlen und Ärgerneigung. (Körner & Deegener, 2005, S. 99)

Auch werden als Folge Persönlichkeitsstile und Persönlichkeitsstörungen angenommen, welche sich in Form von Impulsivität, emotionaler Instabilität oder Persönlichkeitsstörungen, insbesondere dem Borderline-Syndrom, auszeichnen (Körner & Deegener, 2005, S. 99). Das Leben von Borderline-Erkrankten ist von Impulsivität und Instabilität geprägt und Gefühle, Gedanken sowie Einstellungen können sich innerhalb kürzester Zeit ändern (Dobmeier, 2022).

Ausserdem haben Opfer oft dissoziative Störungen wie Gedächtnislücken oder eine dissoziative Identitätsstörung, auch bekannt als Multiple Persönlichkeit (Körner & Deegener, 2005, S. 99). Betroffene alternieren zwischen zwei oder mehreren Identitäten. Es kommt vor, dass sie sich nicht an bestimmte Informationen wie beispielsweise traumatische Ereignisse erinnern können. (Spiegel, 2021)

Des Weiteren leiden Erwachsene mit Gewalterfahrungen häufig an chronischen Einschlaf- oder Durchschlafstörungen, schlechter Schlafqualität sowie an Essstörungen wie Anorexie (Magersucht), Bulimie (Ess-Brech-Sucht) oder Adipositas (starkes Übergewicht) oder koten oder nässen sich ein (Körner & Deegener, 2005, S. 99).

 

Laut einer Untersuchung darüber, wie oft häusliche Gewalt zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt, gaben 73,4% der befragten Frauen an, Folgen im seelischen und psychosomatischen Bereich zu verspüren. Auswirkungen wie Wut- oder Hassgefühle, Angstgefühle, geringes Selbstwertgefühl, Niedergeschlagenheit, Depressionen, Scham- oder Schuldgefühle, Machtlosigkeit, Müdigkeit und Lustlosigkeit, Schlafstörungen oder Albträume, Schwierigkeiten in Beziehungen zu Männern, Konzentrationsschwierigkeiten, Suizidgedanken, Essstörungen, Schwierigkeiten bei der Arbeit oder in der Ausbildung, Erwerbungsunfähigkeit und Selbstverletzung wurden der Reihenfolge nach mit abnehmender Häufigkeit genannt. (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 30–31)

 

Ebenfalls ist die Suizidalitätsrate bei Frauen, die Gewalt erlitten haben, deutlich höher als bei Frauen ohne Gewalterlebnisse. Neun von zehn nicht gewaltbetroffenen Frauen haben noch nie versucht oder je daran gedacht sich umzubringen. Bei Opfern von Gewalt liegt dieser Anteil bei der Hälfte. Ausserdem steigt der Anteil von Personen, welche je zu Suizid geneigt haben, mit zunehmendem Ausmass der erlittenen Gewalt an. (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 33)

Wird die Zufriedenheit mit der aktuellen Lebenssituation von Gewaltbetroffenen betrachtet, ist ersichtlich, dass Opfer durchschnittlich weniger zufrieden sind als Personen, die keine Gewalt erlitten haben. Während jede vierte Frau ohne Gewalterfahrung ihre Zufriedenheit mit Bestnote beurteilt, ist dieser Anteil bei Betroffenen dreimal geringer. Am anderen Pol ist diese Tendenz der Ergebnisse umgekehrt auffallend. (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 35)

 

Meist wird weder innerhalb noch ausserhalb der Familie über die stattgefundene Gewalt geredet. Dadurch hat das Kind keine Möglichkeit seine damit verbundenen Gefühle auszudrücken und diese zu verarbeiten. Die Familie als ein unterstützendes Umfeld entfällt und Kinder können belastende Ereignisse nur schlecht verarbeiten. Durch die fehlende Verarbeitung kommen häufig Schuldgefühle auf. Kinder übernehmen für die Gewaltausübung Verantwortung, um den Schaden möglichst zu begrenzen. Das Tragen einer solchen Last ist für Kinder oft überfordernd. Viele kindliche Bedürfnisse werden somit vernachlässigt. Wie Kinder darauf reagieren, unterscheidet sich. Während einige laut und aggressiv reagieren, ziehen sich andere zurück und sind niedergeschlagen und ängstlich. (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 89)

 

Wissenschaftler*innen der Abteilung für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Bonn (UKB), der Ruhr-Universität Bochum und aus Chengdu in China untersuchten, ob Gewalterfahrungen in der Kindheit zu einer dauerhaft veränderten Wahrnehmung von sozialen Reizen führen. Teilnehmer der Untersuchung litten weder unter neurologischen Erkrankungen oder nahmen Medikamente ein. (healthcare in europe, 2019)

Die sensorische Wahrnehmung testeten die Wissenschaftler, indem sie mit einer Hand entweder in einer schnellen oder einer langsameren Bewegung über die nackte Haut der Schienbeine strichen. „Berührungen sind von zentraler Bedeutung, weil sie die Gehirnentwicklung beeinflussen, ein Gefühl für den eigenen Körper vermitteln und als Stressregulator dienen“, sagt Dr. Dirk Scheele von der Abteilung für Medizinische Psychologie des UKB.

Zwischenmenschliche Berührungen werden über zwei unterschiedliche Nervenfasern in der Haut vermittelt: Aß-Fasern übertragen den sensorischen Reiz und sprechen primär auf schnellere Berührungen an, C-taktile Fasern hingegen übertragen das emotionale Wohlgefühl und werden primär durch langsame Berührungen aktiviert, erläutert Erstautorin Ayline Maier. Die Testpersonen lagen während der Experimente im Hirnscanner und konnten den Experimentator nicht sehen, der die Bewegungen vollführte. Dessen Hände steckten in Baumwollhandschuhen, um direkten Hautkontakt zu vermeiden. Der funktionelle Magnetresonanztomograph (fMRT) zeichnete die Aktivität der Gehirnareale auf. Nach jedem Messdurchgang wurden die Probanden befragt, wie beruhigend die Berührungen empfunden wurden.

Je ausgeprägter die Misshandlungserfahrungen während der Kindheit waren, umso stärker reagierten zwei Gehirnregionen auf schnelle Berührungen. Der somatosensorische Kortex ist im Gehirn in etwa über dem Ohr lokalisiert und registriert, wo eine Berührung stattfindet. „Dieses Areal kodiert haptische Empfindungen und ist an der Vorbereitung und Initiierung von Körperbewegung beteiligt – zum Beispiel daran, das berührte Bein wegzuziehen“, sagt Maier. Die posteriore Inselrinde ist ein tief im Gehirn hinter der Schläfe liegendes Areal, das für jegliche Körperwahrnehmung wie Berührung, Hunger, Durst und Schmerz zuständig ist. „Bei traumatisierten Menschen ist die Aktivität bei schnellen Berührungen in diesen beiden Arealen deutlich erhöht“, fasst Scheele das Ergebnis zusammen.

Dagegen war der Hippocampus bei langsamen Berührungen deutlich schwächer aktiviert, wenn traumatische Erfahrungen in der Kindheit gemacht worden waren. Die einem Seepferdchen ähnliche Gehirnstruktur dient der Gedächtnisbildung und speichert damit auch negative und positive Assoziationen von Reizen ab. „Konkret könnte die Aktivität des Hippocampus widerspiegeln, wie belohnend eine Berührung im Experiment empfunden wurde“, erläutert Maier. Stärker traumatisierte Teilnehmer könnten insbesondere eine langsame und damit emotionaler aufgeladene Berührung als weniger belohnend empfinden.

„Die Resultate zeigen, dass bei Menschen mit traumatischen Erlebnissen in der Kindheit die Wahrnehmung und die sensorische Verarbeitung verändert sind“, fasst Scheele die Ergebnisse zusammen. Berührungen wirken weniger beruhigend als bei Personen ohne Misshandlungserfahrung. Wie Kontrolluntersuchungen zeigen, seien dafür nicht die Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angstattacken verantwortlich, sondern die Traumatisierung selbst. „Dieses Ergebnis eröffnet jedoch möglicherweise auch Chancen für neue Therapien: Ergänzende körperbasierte Therapien in einem sicheren Umfeld könnten ein Umlernen dieser Reizverarbeitung ermöglichen“, vermutet Maier. Doch dieses Potenzial müssten erst noch weitere Studien genauer untersuchen. (healthcare in europe, 2019)

 

Externalisierende Reaktionsformen

Kurzzeitfolgen auf das soziale Verhalten des Opfers sind nach dem Erleben von physischer Gewalt häufig erkennbar. Betroffene zeigen ein Rückzugsverhalten auf, tendieren dazu von zuhause wegzulaufen, bleiben fern vom Unterricht, sind hyperaktiv, weisen ein eher delinquentes[2] wie auch aggressives Verhalten auf, zerstören mutwillig Eigentum und neigen zu physischen Angriffen. (Körner & Deegener, 2005, S. 95)

Im Vorschulalter zeichnet sind besonders ängstliches und/oder aggressives oder hyperaktives Verhalten ab. Ebenfalls regieren Kinder oft emotionslos und es fehlt ihnen an Vertrauen in wichtige Bezugspersonen. Im Schulalter ist ängstliches und/oder aggressives, hyperaktives und delinquentes Verhalten typisch. Aggressives Verhalten ist in der Adoleszenz besonders ausgeprägt, in der Opfer oft selbst zu Gewalt greifen und zu Delinquenz neigen. (Körner & Deegener, 2005, S. 97)

Ebenfalls lässt sich bei Kindern mit Gewalterfahrungen eine erhöhte Bereitschaft beobachten selbst Gewalt zu erdulden oder auszuüben (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 89).

 

Durch Misshandlung von den nächsten Bezugspersonen im Kindesalter kommt es in vielen Fällen zu Störungen in sozialen Beziehungen des Opfers. Langzeitfolgen wie Furcht oder Feindseligkeit gegenüber den Eltern, chronische Unzufriedenheit in intimen Beziehungen, Vertrauensprobleme und Schwierigkeiten mit sozialer Anpassung wie dissoziales Verhalten sind typisch. Weibliche Opfer neigen eher dazu wieder Opfer zu werden und männliche Opfer dazu Täter zu werden. Gewaltförmiges Verhalten kann auch transgenerational weitergegeben werden, wodurch Opfer dazu tendieren ihre eigenen Kinder ebenso gewaltvoll zu erziehen. (Körner & Deegener, 2005, S. 99)

 

Bei Personen mit Gewalterfahrung ist ein Zusammenhang mit psychosozialen Belastungsfaktoren erkennbar. Opfer fühlen sich überlastet und gestresst, sich anderen Menschen ausgeliefert, mutlos und ängstlich, schuldig oder ungerecht bei der Arbeit oder zuhause behandelt. (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 34)

[1] Delinquenz beschreibt die Neigung vornehmlich rechtliche Grenzen zu überschreiten und straffällig zu werden (Delinquenz, 2019).

 

Physische Schäden

Durch physische Misshandlung ergeben sich unter anderem direkt sichtbare Folgen. Zu den Kurzzeitfolgen zählen die typischen körperlichen Verletzungen wie blaue Flecken, Hämatome, Quetschungen, Beulen, Bissmale, Kratzer, Skelett-, Weichteil-, Augen-, Hirn- und Mundverletzungen, Verbrennungen, Verbrühungen, Frakturen, innere Verletzungen oder Schütteltraumata. (Körner & Deegener, 2005, S. 96)

Für die Entstehung eines Hämatoms muss ein bestimmter Grad an Krafteinwirkung gegeben sein, welcher durch einen Sturz, heftiges Anschlagen oder durch Fremdeinwirkung entsteht. Damit ein Hämatom ohne Fremdeinwirkung entsteht, benötigt das Kind einen entsprechenden motorischen Entwicklungsstand. Säuglinge oder bettlägerige Kinder mit eingeschränkter Motorik können sich selbst keine Hämatome zufügen, wodurch das Auftreten von Hämatomen bei Kleinkindern unter sechs Monaten ein Anzeichen für Misshandlung darstellt. (Lips et al., 2020, S. 19)

Hämatom an höchst misshandlungsverdächtiger Lokalisation, Kleinkind, angeblich unbeobachtet gestürzt. Lips et al.. (2020). Kindesmisshandlung – Kindesschutz.

 

Die Flecken lassen sich an ihrer Form, mit der sie verursacht wurden, erkennen. Schläge mit gewissen Gegenständen wie zum Beispiel einem Gürtel oder Stock zeichnen sich auf der Haut als eine lineare Doppelkontur ab, bei Draht- oder Seilschlägen als Schleifen und bei Schlägen mit spezifischen Gegenständen wie Kleiderbügeln, Händen, Finger, Bissen oder Ähnlichem wie diese. (Lips et al., 2020, S. 21) Handabdrücke oder runde Male von Fingerspitzen auf der Haut des Kindes bilden sich durch Schläge, Festhalten oder Schütteln (Pekarsky, 2020).

Spuren von Schlägen mit einem Elektrokabel. Lips et al.. (2020). Kindesmisshandlung – Kindesschutz. Spur einer massiven Ohrfeige. Lips et al.. (2020). Kindesmisshandlung – Kindesschutz. Spur eines Menschenbisses. Lips et al.. (2020). Kindesmisshandlung – Kindesschutz.

 

Verbrennungen oder Verbrühungen sind in der Regel scharf abgegrenzt und treten vor allem an Händen, Füssen und im Anogenitalbereich[3] auf.

Im Falle von Kindesmisshandlung sind sie oft mit anderen Verletzungen kombiniert und weisen Spuren von heissen Gegenständen wie einem Grill, einem Bügeleisen oder einer Zigarette auf. (Lips et al., 2020, S. 22) Wurden Kinder beispielsweise beim Baden absichtlich in heisses Wasser getaucht, entstehen meist ringförmige Verbrühungen, die sich am Gesäss oder den Füssen befinden. Kleinere Verbrühungen an anderen Körperstellen können durch heisse Wasserspritzer entstehen. (Pekarsky, 2020)

Verbrühung durch Eintauchen der Füsse in heisses Wasser. Lips et al.. (2020). Kindesmisshandlung – Kindesschutz.

 

Verdickte Haut und Narben an den Mundwinkeln weisen meistens Kinder auf, welche geknebelt wurden. Eine geschwollene Kopfhaut und fehlende Haarbüschel deuten darauf hin, dass dem Kind an den Haaren gezogen wurde. Ausserdem können schwere Verletzungen an Mund, Augen, Gehirn oder inneren Organen, bis hin zu Frakturen, vorkommen. Von aussen sind diese inneren Verletzungen oft nicht sichtbar. Manchmal lassen sich jedoch auf dem Gesicht und/oder Hals kleine blaue Flecken oder rötliche Punkte erkennen. (Pekarsky, 2020)

Das Schütteltrauma, kurz AHT für Abusive Head Trauma, ist eine besondere Form der nicht akzidentellen Schädelhirntraumata und entsteht durch das Schütteln eines Kindes in sagittaler[4] Richtung. Ein Kleinkind kann seinen Kopf nicht stabilisieren, wodurch es zu intrakraniellen[5] oder intrazerebralen[6] Verletzungen kommt.

Diese sind von aussen nicht erkennbar, da bei einem Schütteltrauma der Kopf des Kindes nirgendwo aufschlägt und dadurch keine Prellungen oder Frakturen entstehen. Ein AHT kann jedoch auch durch einen Stoss des Kopfes gegen einen harten Gegenstand verursacht werden. Anzeichen dafür sind Aufregung, Erbrechen und Schläfrigkeit. Die Schläfrigkeit wird durch die Verletzung und das Anschwellen des Gehirns ausgelöst, welche durch ein subdurales Hämatom, einer Blutung zwischen Gehirn und Schädel, entsteht. Ferner kann ein AHT bei Säuglingen auch Blutungen der Netzhaut im hinteren Teil des Auges, Rippen- und Knochenbrüche verursachen. Der auslösende Faktor für die misshandelnde Person ist meistens das (vermehrte) Schreien des Säuglings. (Lips et al., 2020, S.26; Pekarsky, 2020)

 

Eine weitere Form von Kindesmisshandlung stellt das Münchhausen-by-proxy-Syndrom dar. Hierbei werden Anzeichen einer Krankheit von den Eltern oder Erziehungsberechtigten vorgetäuscht oder aktiv erzeugt. Beispielsweise wird Erbrechen oder Diarrhoe durch das Verabreichen von giftigen Substanzen ausgelöst. Diese vorgetäuschten Krankheiten führen dann zu multiplen medizinischen Untersuchungen und invasiven Eingriffen, welche für das Kind meist schmerzhaft sind. (Noeker & Keller, 2002, S. 1)

 

Laut einer Untersuchung darüber, wie oft häusliche Gewalt zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt, berichtet jede zweite Frau, welche Gewalt erfahren hat, unter physischen Auswirkungen zu leiden. 21,8% können drei bis zwölf konkrete Auswirkungen nennen. 55,1% tragen hingegen keine körperlichen Langzeitfolgen der Misshandlung. In abnehmender Häufigkeit wurden die Verletzungen blaue Flecken, Beulen, Prellungen, ausgerissene Haare, Verletzungen im Gesicht wie an Nase, Zahn oder Lippe, Übelkeit, Erbrechen, Schürfungen, Verstauchungen, Zerrungen, offene Wunden, Schnitt- oder Brandwunden, Ohnmacht, Knochenbrüche oder -risse und innere Verletzungen als Auswirkungen von häuslicher Gewalt genannt. (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 29–30)

Insgesamt treten jedoch mehr seelische und psychosomatische Auswirkungen als körperliche Verletzungen und Beeinträchtigungen auf (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 30–31).

Werden die Angaben der physischen Beschwerden darauf untersucht, wie gross das Ausmass an Gewalt am Opfer war, sind signifikante Unterschiede erkennbar. „Der Zusammenhang ist linear, das heisst, je stärker das Ausmass an erlittener Gewalt, desto grösser die Beschwerden.“ (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 32)

Es ergeben sich Unterschiede bei der Analyse nach unterschiedlicher Gewalterfahrung auf den aktuellen Gesundheitszustand der befragten Personen. Jede dritte Frau ohne Gewalterfahrung bewertet ihren gesundheitlichen Zustand als optimal. Von der Gruppe mit Frauen, die Gewalt erfuhren, beurteilt nur jede siebte Frau ihren Gesundheitszustand mit der Bestnote zehn. Dieses Bild ist auch umgekehrt am Ende der Gesundheitsskala zu erkennen. Während nur jede zehnte Frau ohne Gewalterfahrung ihren Zustand als schlecht bezeichnet, liegt der Anteil von Frauen mit Gewalterfahrung beim Doppelten. (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 33)

Insgesamt kann festgehalten werden, dass „je stärker die erlittene Gewalt der befragten Patientinnen, desto häufiger sind gesundheitliche Belastungen feststellbar“ (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 35).

 

Kinder ohne Entwicklungs- und Verhaltensbeeinträchtigungen

Die Auswirkungen von Gewalt variieren von Person zu Person stark. Es gibt Fälle, in denen keine Auswirkungen sichtbar sind. Sie bewältigen die Schule ohne Probleme, beteiligen sich an Freizeitanlässen, besetzen anspruchsvolle berufliche Positionen, führen liebevolle Beziehungen und sind fürsorgliche Eltern.
Forschungen unter Geschwistern ergeben, dass ausschlaggebend ist, wie das Kind den Gewaltakt erlebt hat und wem die Schuld dafür gegeben wird. Fühlt sich das Kind schuldig, ist die Wahrscheinlichkeit Störungen zu entwickeln grösser. Resilienzforschungen, welche untersuchen, wie Menschen trotz widriger Lebensumstände gesund aufwachsen, zeigen, dass eine ausserfamiliäre Bezugsperson als wichtiger Schutzfaktor vor Störungen dient. Zudem beeinflusst die Zeit, die ein Kind innerhalb gewaltfreier Umfelder verbringt und dadurch andere Erfahrungen sammelt, das Ausmass an Folgen. (Fachstelle für Gleichstellung Zürich et al., 2010, S. 90)

 

Geschlechtstypische Unterschiede

Das Erkrankungsrisiko bei weiblichen Opfern für emotionale Störungen wie Depressionen, Angststörungen, Posttraumatischer Belastungsstörung oder Ärgerneigung ist bis zu neunmal so hoch als bei männlichen Opfern. Ebenfalls weisen weibliche Betroffene ein höheres Delinquenzrisiko auf. Männer hingegen zeigen ein erhöhtes Risiko für Störungen des Sozialverhaltens auf. Im Vergleich zu weiblichen Opfern haben Männer zwar ein geringeres Risiko für emotionale Störungen, jedoch immer noch ein erhöhtes Erkrankungsrisiko im Gegensatz zu nicht misshandelten Männern. Es ist denkbar, dass männliche Personen Gewalt gegenüber ihnen aufgrund ihrer Sozialisation anders erleben und bewerten als weibliche Opfer. (Körner & Deegener, 2005, S. 98)

 

Methodologische Probleme

Die Grundlage der Ergebnisse über die Auswirkungen von physischer Gewalt sind Forschungsergebnisse aus retrospektiven Studien. Dies sind Studien, die Ereignisse und Erlebnisse untersuchen, welche oft lange in der Vergangenheit liegen und somit anfällig auf Verzerrungen sind, da sich Befragte eventuell nicht mehr genau erinnern können. Die Ätiologie[7] ist nur durch naturalistische prospektive Langzeitstudien mit einer Kontrollgruppe untersuchbar. In diesen Studien werden Opfer vor, während und nach der Misshandlung befragt, ohne dass therapeutisch eingegriffen wird. Dadurch können Folgesymptome aus anderen Ursachen erkannt und nicht miteinbezogen werden. Prospektive Langzeitstudien können allerdings aus ethischen und rechtlichen Gründen nicht durchgeführt werden, da in jedem Fall eingegriffen werden muss. Somit können nur aus retrospektiven Studien Forschungsergebnisse gewonnen werden. Es können jedoch unterschiedliche Forschungsergebnisse bei verschiedener Durchführung dieser Studien entstehen. Unterschiede treten auf, je nachdem wie Kindesmisshandlung definiert wird, welche Befragungsmethoden (Fragebogen oder Interview) und Erhebungsinstrumente (psychologische Tests oder frei erfundene Fragen) verwendet werden und welche Personen (repräsentative Stichproben, -Studierenden-, Freiwilligen-, Patient*innengruppen) befragt werden. (Körner & Deegener, 2005, S. 100)

Ausserdem können Verhaltensauffälligkeiten auch durch andere belastende Ereignisse oder Umstände wie lebensbedrohliche Unfälle, Alkoholprobleme oder Scheidung der Eltern auftreten beziehungsweise diese Folgen verstärken. Zudem sind die Folgen meistens eine Kombination aus mehreren Formen von Kindesmisshandlung, wodurch Auswirkungen kaum isoliert auftreten und ein vielfältiges Bild an Symptomen entsteht. (Körner & Deegener, 2005, S. 95)

 

 

 

[1] Resilienz beschreibt die seelische Widerstandsfähigkeit eines Individuums (Warner, 2022).

[2] Delinquenz beschreibt die Neigung vornehmlich rechtliche Grenzen zu überschreiten und straffällig zu werden (Delinquenz, 2019).

[3] Der Anogenitalbereich beinhaltet den Abschnitt von Anus bis zu den Genitalien (Davis, o. J.).

[4] Sagittal bedeutet „pfeilwärts“ und beschreibt die Körperebene von vorne nach hinten (DocCheck, 2013).

[5]Intrakraniell bedeutet „innerhalb des Schädels“.“ (DocCheck, 2023)

[6]Intrazerebral bedeutet „innerhalb des Gehirns (Cerebrum) gelegen“.“ (DocCheck, 2011)

[7] Ätiologie bezeichnet den ursächlichen Zusammenhang (Körner & Deegener, 2005, S. 100).

 

 

 


Quellen und weitere Informationen

Davis, C. P. (o. J.). Definition of anogenital tract. RxList. Abgerufen 17. Mai 2023, von https://www.rxlist.com/anogenital_tract/definition.htm

Delinquenz. (2019, Juni 24). DWDS. https://www.dwds.de/wb/Delinquenz

Dobmeier, J. (2022, Mai 23). Borderline-Syndrom. NetDoktor. https://www.netdoktor.ch/krankheiten/borderline-syndrom/

DocCheck. (2011, März 21). Intrazerebral. DocCheck Flexikon. https://flexikon.doccheck.com/de/Intrazerebral

DocCheck. (2013, April 2). Sagittal. DocCheck Flexikon. https://flexikon.doccheck.com/de/Sagittal

DocCheck. (2023, Juli 30). Intrakraniell. DocCheck Flexikon. https://flexikon.doccheck.com/de/Intrakraniell

Fachstelle für Gleichstellung Zürich, Stadtspital Triemli Zürich Frauenklinik, & Zürich Verein Inselhof Triemli. (2010). Häusliche Gewalt erkennen und richtig reagieren. Handbuch für Medizin, Pflege und Beratung (2. Aufl.). Huber.

healthcare in europe. (2019, August 19). Wer als Kind misshandelt wurde, sieht die Welt anders. healthcare in europe. https://healthcare-in-europe.com/de/news/wer-als-kind-misshandelt-wurde-sieht-die-welt-anders.html

Körner, W., & Deegener, G. (2005). Kindesmisshandlung und Vernachlässigung: Ein Handbuch (1. Aufl.). Hogrefe. https://www.amazon.de/Kindesmisshandlung-Vernachlässigung-Wilhelm-Körner-ebook/dp/B007W0PDBC?asin=B007W0PDBC&revisionId=714bfadf&format=1&depth=1

Lips, U., Wopmann, M., Jud, A., & Falta, R. (2020). Kindsmisshandlung – Kindesschutz. https://www.kinderschutz.ch/media/4c1nd5op/kss_leitfaden_1_de_261020_web.pdf

Noeker, M., & Keller, K. M. (2002). Münchhausen-by-proxy-Syndrom als Kindesmisshandlung. Monatsschrift Kinderheilkunde, 150(11), 1357–1369. https://doi.org/10.1007/s00112-002-0608-7

Pekarsky, A. R. (2020, Dezember). Überblick über Kindesmisshandlung und -vernachlässigung. MSD Manual. https://www.msdmanuals.com/de/heim/gesundheitsprobleme-von-kindern/kindesmisshandlung-und-vernachlässigung/überblick-über-kindesmisshandlung-und-vernachlässigung

Spiegel, D. (2021, März). Dissoziative Identitätsstörung. MSD Manual. https://www.msdmanuals.com/de/heim/psychische-gesundheitsstörungen/dissoziative-störungen/dissoziative-identitätsstörung

Universitätsspital Zürich. (o. J.). Posttraumatische Belastungsstörungen. USZ. Abgerufen 9. April 2023, von https://www.usz.ch/krankheit/posttraumatische-belastungsstoerungen/

Warner, L. M. (2022). Resilienz. Dorsch Lexikon der Psychologie. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/resilienz

Wirth, J. V., & Kleve, H. (2020, 08). Externalisierung. Carl-Auer Verlag. https://www.carl-auer.de/magazin/systemisches-lexikon/externalisierung