Auslöser & Risikofaktoren

Auslöser und Risikofaktoren von physischer Gewalt gegen Kinder

In den vergangenen Jahrzehnten versuchten Studien anhand von Persönlichkeitsmerkmalen und -störungen das Profil einer Misshandlungspersönlichkeit zusammenzustellen, doch bisher ohne Erfolg. Die Analyse ermöglicht jegliche Faktoren zu definieren, die ein hohes Risiko für Kindesmisshandlung darstellen. Dazu gehört der Entzug von mütterlicher Zuneigung, eine durch Gewalt geprägte Kindheit, Borderline Erkrankung, Ängstlichkeit, Depressionen, ein geringes Selbstwertgefühl, verminderte Aggressionskontrolle und Frustrationstoleranz sowie erhöhte Stress- und Konfliktanfälligkeit aufgrund mangelnder Bewältigungsmechanismen. Personen mit diesen Merkmalen sind jedoch keinesfalls direkt Kindesmisshandler*innen, die genannten Eigenschaften erhöhen lediglich das Risiko. (Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Kindern, o. J.)

 

Neben personenzentrierten Faktoren gibt es mehrere familienbezogene Aspekte, welche das Risiko zur Misshandlung erhöhen. Es wurde festgestellt, dass Frühgeburten und untergewichtige Kinder oft misshandelt werden. Der Grund dafür könnten häufig erforderliche Krankenhausaufenthalte sein, die den Aufbau einer Mutter-Kind-Beziehung beeinträchtigen. (Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Kindern, o. J.)

Untersuchungen zeigen ebenfalls einen bestehenden Zusammenhang zwischen Misshandlung und häufigen Erkrankungen des Kindes im ersten Lebensjahr. Kranke Kinder schreien öfter und sind schwerer zu beruhigen, vor allem im ersten Lebensjahr, wenn sich Kinder nicht mit Worten äussern können. Bei den Eltern oder Erziehungsberechtigen können daraus Gefühle von Ohnmacht und Überforderung resultieren, die dann in Misshandlung münden. (Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Kindern, o. J.)

Für diese Annahmen gibt es allerdings keinen empirischen Beweis, es lassen sich bloss Tendenzen erkennen. Ein möglicher Grund dafür könnte darin bestehen, dass die bisher durchgeführten Studien lediglich Charaktereigenschaften und Verhaltensmerkmale des Kindes als Grundlage für die Untersuchung verwendeten, anstatt auch die Interaktion zwischen Kind und Eltern zu berücksichtigen. (Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Kindern, o. J.)

Wissenschaftlich belegbar ist jedoch, dass Überforderung oder erzieherische Unfähigkeit der Eltern ein hohes Risiko für Misshandlung darstellen. Ebenfalls führen Stress, Krisen und Belastungen in der Familie zu einer grösseren Wahrscheinlichkeit für Gewalt an Kindern. Es kann sich dabei um vom Kind verursachten Stress, persönlichen, finanziellen oder beruflichen Stress handeln. (Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Kindern, o. J.)

Im Allgemeinen sind jüngere Kinder unter diesen Umständen häufiger von Misshandlung betroffen als ältere. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass jüngere Kinder ihre Eltern mehr beanspruchen, insbesondere die Mutter, was erneut zu erhöhtem Stress führen kann. (Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Kindern, o. J.)

 

Neben den bereits genannten Faktoren sind Wissenschaftler*innen überzeugt davon, dass das Gewaltrisiko durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen erhöht wird. Dazu gehören Stressfaktoren wie Armut, beengte Wohnverhältnisse und Isolation, Umweltbelastungen wie Lärm, Luftverschmutzung und räumliche Dichte, soziale Normen und Werte sowie die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt als Mittel zur Konfliktaustragung. Alle Umstände verstärken Stress, wodurch in schwierigen Situationen eher zu Gewalt gegriffen wird. Vor allem soll die Gefahr von sozialer Isolation in Krisensituationen Stress verstärken. Jedoch dienen auch diese sozialen Faktoren allein nicht als ausreichende Erklärung für Gewalt. (Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Kindern, o. J.)

Gewalt gegen Kinder lässt sich teilweise auch mit strukturellen Faktoren in der modernen kapitalistischen Gesellschaft erklären. Demnach ist die Familie durch ihre hierarchische Struktur und ihre ungleiche Macht- und Ressourcenverteilung ein Spiegel der strukturellen Gewalt in der Gesellschaft. Kinder haben weniger Kontrolle, werden benachteiligt und sind vor körperlicher Gewalt wenig geschützt. Die Akzeptanz von Gewalt steht damit im Zusammenhang. Dieser Erklärungsansatz fokussiert sich nicht auf die Motivation der Täter*innen, sondern auf die Rahmenbedingungen der Gesellschaft, die eine gewisse Gewaltanwendung in zwischenmenschlichen Beziehungen akzeptieren. (Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Kindern, o. J.)

Ebenfalls spielt die Kultur einen starken Einfluss, da in bestimmten Kulturen körperliche Bestrafungen als normal gelten und gesellschaftlich akzeptiert sind (Pekarsky, 2020).

 

Die sogenannten integrativen Ansätze basieren auf der Erkenntnis, dass keine der biologischen, psychologischen oder soziologischen Theorien eine ausreichende Grundlage für die Erklärung von Gewalt bieten konnte. Die integrativen Ansätze umfassen eine Vielzahl möglicher Ursachen und Risikofaktoren aus historischen, soziologischen, psychologischen sowie psychoanalytische Dimensionen von Gewalt. Faktoren dafür sind gesellschaftliche Strukturprobleme, eine auf einem autoritären Erziehungsstil[1] basierende Eltern-Kind-Beziehung, die Prägung von gesellschaftlichen Abhängigkeits- und Unterdrückungsverhältnissen, die zugenommenen Anforderungen an die Familie bezüglich Kindererziehung und die abgenommenen Chancen diese zu bewältigen sowie Eltern, die in ihrer eigenen Kindheit wenig Liebe erfahren haben. Durch diese integrativen Ansätze wird Kindesmisshandlung als ethno-psychologische Störung klassifiziert. (Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Kindern, o. J.)

 

Kindesmisshandlung wird meist durch ein komplexes Zusammenspiel von persönlichen, familiären und sozialen Faktoren verursacht. Eltern, die jung, alleinerziehend, arm oder sozial isoliert sind, finanzielle Schwierigkeiten oder zu wenig Nahrung haben, an einer Substanzgebrauchsstörung leiden, psychische Probleme oder eine Kombination dieser Faktoren haben, tendieren eher dazu, ihr Kind zu misshandeln oder zu vernachlässigen. Außerdem sind Erwachsene, die als Kinder missbraucht wurden, eher geneigt, ihre eigenen Kinder zu misshandeln. Eltern, die zum ersten Mal ein Kind haben, mehrere unter fünf Jahren oder selbst im Jugendalter sind, tragen ein höheres Risiko ihre Kinder zu misshandeln. Unter diesen Umständen ist die emotionale Verbindung zwischen Kind und Elternteil beeinträchtigt, wodurch das Risiko für Misshandlung steigt. (Pekarsky, 2020)

 

 

[1] „Der autoritäre Erziehungsstil ist ein Erziehungsansatz, bei dem Eltern oder Erziehungsberechtigte viel Macht und Kontrolle über ihre Kinder haben und strenge Regeln und Anweisungen erteilen, die ohne Widerspruch befolgt werden müssen. In diesem Erziehungsstil gibt es oft wenig Raum für den Input oder die Meinung der Kinder und es wird ein starker Fokus auf Gehorsam und Disziplin gelegt.“ (Fischer, 2023)

 

 

 


Quellen und weitere Informationen

Auslöser und Risikofaktoren für Gewalt an Kindern. (o. J.). gewaltinfo.at. Abgerufen 17. Mai 2023, von https://www.gewaltinfo.at/fachwissen/ursachen/ausloeser_kinder.php

Fischer, V. (2023, Januar). Autoritärer Erziehungsstil. Kindererziehung. https://www.kindererziehung.com/Paedagogik/Erziehungsstile/Autoritaerer-Erziehungsstil.php

Pekarsky, A. R. (2020, Dezember). Überblick über Kindesmisshandlung und -vernachlässigung. MSD Manual. https://www.msdmanuals.com/de/heim/gesundheitsprobleme-von-kindern/kindesmisshandlung-und-vernachlässigung-überblick-über-kindesmisshandlung-und-vernachlässigung